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Teil 5 – Versöh­nung und Gerech­tigkeit

Schlussbemerkungen

Versöh­nung

und Gerech­tigkeit

Woher kommt die Kraft der Versöhnung?

Unseren Gruppenprozess verstehen und erleben wir als einen Modellfall für einen Annäherungs- und Versöhnungsprozess. Dabei ist einer der Wege, Begegnungen zu ermöglichen. Der zunächst distanziert-respektvolle Umgang miteinander änderte sich. Durch die Aufstellungsarbeit und das »wissende Feld«, wo jeder Teilnehmer immer wieder in der Stellvertreterrolle Gefühls­einblicke und Weltwahrnehmung der Familienmitglieder der anderen im Raum sitzenden Kollegen erlebte, entstanden wahre Freundschaften.

So saßen nach einigen Treffen nicht mehr nur »die anderen, die von der anderen Seite« da, sondern es saßen hier einfach Menschen mit ihren Erfah­rungen und familiären Geschichten. Durch die Aufstellungs­arbeit konnten wir uns auf der Gefühls­ebene verbinden, der Ebene, wo die einzig wahre Ver­bindung herrscht, und konnten so in gewissen Momenten über Erfah­rungen, Erlebnisse sowie subjektive Wahrnehmungen des letzten Bürger­kriegs berichten. Die Tatsachen wurden benannt, wurden angeschaut, wurden respektiert. Und wir trugen in dieser Runde bewusst und unbewusst auf ver­schiedenen Ebenen zur wahren Versöh­nung in den eigenen Seelen, in den eigenen Familien wie auch bestimmt auf dem interethnischen Niveau bei.

 

Versöhnung und Frieden erscheinen in Bosnien und Herzegowina möglich zu werden, wenn – wie wir das in vielen Aufstellungen erleben – alle Beteiligten gleichermaßen gehört werden. Dabei ist das Annehmen der anderen als Dazugehörende und gleichberechtigt Beteiligte ein wesentliches Merkmal bzw. eine entscheidende Haltung.

 

Die guten Einsichten in die jeweiligen Nachbarschaften zu bringen, stellt eine noch größere Herausforderung im Heute von BiH dar. Hier sind, so wie es hier in einem Beitrag als Hilferuf formuliert wurde, auch die »guten Kräfte von außen« gefordert, das heißt, vor allem wir Europäer.


Welche Gerechtigkeit und wer sollte diese herstellen können?

Dazu verfasste ein Mitglied unseres Teams folgende Worte, die für uns alle stehen:

 

Ich glaube, dass das Problem auf der Ebene der gegenwärtigen politischen Eliten nicht gelöst werden kann. Ein Waffenstillstand ist das maximale Maß an Frieden, auf das sie sich einigen können. Das wurde in Dayton erreicht. Es war kein Friedensvertrag, den sie unterschrieben hatten. Es war eigentlich (nur) ein Waffenstillstandsabkommen.

 

Die Lösung des Problems liegt bei den Menschen dieses Landes. Wie der deutsche Philosoph Karl Jaspers in seinem berühmten Essay über die Schuldfrage (1946) klug sagte: »Jeder Mensch ist für die Art und Weise verantwortlich, in der er regiert wird.« Die Menschen in Bosnien und Herzegowina müssen nüchtern werden und verantwortungsbewusst handeln, wenn sie Politiker wählen, die Entscheidungen treffen und das Land in ihrem Namen regieren. Aber bevor sie dazu in der Lage sind, müssen sie zuerst ihre eigene politische und moralische Schuld akzeptieren und zugeben, dass sie nationalistischen Kriegstreibern (unterstützt von den »friedliebenden« Weltmächten), die die ganze Nation in die Selbständigkeit führten, vor 25 Jahren die Macht zur Zerstörung gaben. Und vielleicht, wenn die Menschen mit ihrer eigenen Schuld, Scham und Dummheit konfrontiert werden, werden sie in der Lage sein, einen verurteilten Kriegsverbrecher (wie u. a. Ende 2017 im Internationalen Gerichtshof Den Haag) für das, was er wirklich ist, anzuerkennen und ihn für seine Verbrechen bestrafen zu lassen. Und vielleicht werden wir nur dann genug Mut finden, die Vergangenheit hinter uns zu lassen, um Vergebung bitten und neue Führer wählen, die das Land auf einen neuen Weg des Friedens und der Koexistenz führen werden.