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Teil 4 – Das Leben nach dem Krieg. Wer bin ich?

Das Leben

nach dem Krieg

Identitäten im Nachkriegsjugoslawien finden

Herr S.: »Noch bestehen zu viele Hindernisse für wahre Versöhnung: Es gibt noch so viele vermisste Personen, über die die Nachbarn Bescheid wissen, wo die Gräber sind; aber sie sprechen nicht darüber. Das Gesetz des Schweigens bestimmt unser Leben. Die Toten haben keine Ruhe und die Lebenden können die Toten nicht loslassen.

 

Kaum ein politisches Programm befasst sich tatsächlich mit den Menschen. Das Volk wird vernachlässigt. Westliche Institutionen haben keinen Einfluss bzw. sie nehmen ihre Möglichkeiten nicht wahr. Das können wir auch im realen Leben bestätigen.«


Wer bin ich?

Frau N.: »Ich glaube, die Antwort [– wer ich bin –] schon vor 1992 gewusst zu haben. Ich glaube, dass ich die Antwort auch später wusste, dass ich sie auch heute weiß. Ich sage, ich glaube, weil andere hartnäckig versuchen, mir zu erklären, wer und was ich bin. Meine und deren Sicht stimmen nicht überein.

 

Ich weiß, dass ich von Gott geschaffen bin, eine Frau, geboren in der islamischen Religion, auf dem Balkan, in Jugoslawien, in Zenica, der Stadt, wo einst eines der größten Stahlwerke der Welt stand. Ich wuchs mit dem Gefühl der Zugehörigkeit zu meinem Land Jugoslawien und meiner Stadt auf. Ich liebte mein Land, meine Stadt und seine Schornsteine. Ich liebte diese Sicherheit, diese Verbundenheit und Leichtigkeit zwischen den Menschen, die Einfachheit.

 

Manch einer wird sich fragen, wie ich all das so habe spüren können, als Moslems kein Anrecht auf eine eigene Identität hatten. Die Wahrheit ist, dass die bosnischen Muslime erst im Jahr 1974 den gleichberechtigten Status der Völker innerhalb der jugoslawischen Gemeinschaft erhielten. Meine Eltern konnten sich bis 1974 als Serben, Kroaten oder als Unentschiedene deklarieren. Das war deren Erfahrung, die sie ins eigene Leben integriert hatten und über die sie ohne Bitterkeit sprachen. Sie erzogen mich als Jugoslawin und Muslimin.

 

Dann kam es zum Zusammenbruch Jugoslawiens. Der blutige Krieg kam nach Bosnien und Herzegowina. Es gibt verschiedene Ansichten über diesen Krieg. Manche sagen, es war ein Religionskrieg, manche, es war ein Bürgerkrieg. Manche nennen ihn ›Befreiungskrieg‹, manche wieder ›Okkupationskrieg‹. Ich weiß, es ist wichtig, das alles zu benennen; aber in Bosnien und Herzegowina (BiH) ist es sehr schwierig. Der Krieg begann, und dann folgte das Chaos, ein blutiges Chaos. Obwohl der Krieg zu Ende ging, besteht weiterhin das Ziel, dass BiH aufgeteilt wird. In nur ein paar Jahren Krieg verlor ich meinen Geburtsstaat, verlor ich Freunde, verlor ich Sicherheit, verlor ich Lebensjahre und das Gefühl der Zugehörigkeit.«


Neue Zugehörigkeit?

Frau N.: »Ich bin nicht mehr Jugoslawin, jetzt bin ich Bosnierin, Muslimin. Man versucht mich zu überzeugen, dass ich keine Bosnierin bin, sondern Bosniakin, und ich weiß, dass ich Bosnierin bin.

 

Hier sind Bosniaken, Kroaten und Serben konstitutive Völker, und es ist wichtig, ein guter Bosniake, Kroate und Serbe zu sein, es ist nicht wichtig, ein guter Mensch zu sein. Hier ist es wichtig, dass man betont, dass die Amtssprachen bosnisch, serbisch und kroatisch sind. Die Sprachen bzw. die Dialekte und Sprachfärbungen in Bosnien und Herzegowina sind als Träger nationaler Identitäten ein machtvolles Werkzeug, um andere in ihrem ›Anderssein‹ zu erkennen und auszugrenzen oder um sich zu einer Gruppe zugehörig zu fühlen.«